Sunday, July 22, 2018

Maria Lühr, erste deutsche Buchbindermeisterin

[Edit: An English version of this article is available as "Maria Lühr, Germany's First Woman Bookbinding Meister"]

In Frauen als Buchbinder | Women as Bookbinders teilte ich einen Artikel aus einer unbekannten Zeitschrift mit dem Titel "Beim weiblichen Buchbindermeister" und mit Bildern einer Werkstatt in der nur Frauen ausgebildet und angestellt wurden. Kurz danach fand ich Bilder online die stechende Ähnlichkeiten hatten - die Werkbank, der Leimtopf, und im Hintergrund Bilder... am selben Platz hingen. Die Metadaten dazu gaben an, daß diese von einer Wanda von Debschitz-Kunowski für die Süddeutsche Zeitung (München) in der Werkstatt von Maria Lühr in Berlin aufgenommen wurden. Von Debschitz zog 1921 von München nach Berlin...

Vergleiche

Aus "Beim weiblichen Buchbindermeister"

Aus "Beim weiblichen Buchbindermeister"

Mit

In der Werkstatt von Maria Lühr.
Aufnahme von Wanda von Debschitz-Kunowski für die Süddeutsche Zeitung (München)

Und hier noch zwei aus der Serie

In der Werkstatt von Maria Lühr.
Aufnahme von Wanda von Debschitz-Kunowski für die Süddeutsche Zeitung (München)

In der Werkstatt von Maria Lühr.
Aufnahme von Wanda von Debschitz-Kunowski für die Süddeutsche Zeitung (München)


Maria Lühr (geb 1874) kam auf Umwegen aus Holstein nach Berlin wo sie beim 1866 gegründeten Lette-Verein "zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts" in der Kunststickerei anfing. Laut Weiße in seinem Aufsatz im AAB (1949) sagte sie, daß sie in Richtung Handbuchbinderei gelenkt wurde da der Lette Verein eine Werkstatt für Buchbinderei einrichten wollte. So lernte sie zuerst bei W. Collin der sich stark dafür beim Hof und Kaiserin Friedrich einsetzte so, daß sie als Frau überhaupt eine Ausbildung machen konnte. Von dort zog es sie dann zu Cobden-Sanderson in England um ein Jahr dort zu lernen, und kam danach zurück um nach einem zwischen-Aufenthalt in Düsseldorf bei Wilhelm Rauch in Hamburg die Lehrzeit mit dem Gesellenbrief zu beenden. Ein Jahr später machte sie 1902 in Berlin die Meisterprüfung. Ihre Zeit bei Cobden-Sanderson beschrieb sie ausführlich in einem Artikel der 1930 im Buchbinderlehrling erschien.

Im Aufsatz beschrieb sie wie sie zu der Werkstatt von Cobden-Sanderson kam, ihre ersten Eindrücke, die Persönlichkeiten, unter ihnen Ihrer Mitschülerinnen, 3-4 Amerikanerinnen, und die Werkstatt und Arbeiten. Es war eine Zeit die sie sehr geprägt hat. Als Cobden-Sanderson 1910 Lühr im Lette-Verein besuchte war er erfreut "als er sein Bild auf ihrem Schreibtisch stehen fand." Bis zum Ausbruch des Krieges 1914 waren die zwei im Briefwechsel, danach nicht mehr...

Danach bildete sich weiter fort, gründete 1902 die Buchbinderwerkstatt im Lette Verein, daß sie bis 1913 leitete als sie ihre eigene Werkstatt am Kurfürstendamm (225b) in Berlin eröffnete. Paul Kersten war dort ihr Nachfolger.

Der Artikel "Buchbinderinnen" (Zeitschrift u. Datum unbekannt) beschreibt die Buchbinderei als Beruf für Frauen, erwähnt den Lette-Verein und war von dem Bild unten begleitet. Es könnte rechts Maria Lühr sein. Auch Ernst Collin schrieb ein Artikel zu diesem Thema in "Die Buchbinderei als Handwerk und Frauenberuf", daß in Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur (1923) erschien.

Maria Lühr (r)?
Aus "Buchbinderinnen".

In einem Aufsatz in Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914 wurde Lühr als "eine moderne Buchbinderin" beschrieben mit Details zu dem Unterricht, den sie im Lette-Verein anbot.



"Eine moderne Buchbinderin"
Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

 Der Artikel endet mit:
So ist Maria Lühr eine der nicht zahlreichen Frauen, die auf der Grundlage eines sicheren und gründlichen Wissens und Könnens wirklich befähigt sind, den Kampf mit dem Leben und mit der Konkurrenz erfolgreich aufzunehmen. 
Wenn man den Unterschied beachtet, der zwischen den Büchern besteht, die Fräulein Lühr 1912 in der Ausstellung: 'die Frau in Haus und Beruf' ausstellte und denen, die sie jetzt auf die 'Bugra' gebracht hat, so sieht man eine erstaunliche Entwicklung ihrer künstlerischen Leistungsfähigkeit - in technischer Beziehung hat sie schon immer Vollendetes geleistet - und man muß herzliche Freude darüber empfinden, daß ihr in ihrer nunmehrigen Selbständigkeit die Möglichkeit gegeben ist, sich in ihrem Können mehr und mehr zu entfalten.
Sie war Gründungsmitglied desJakob-Krause-Bundes, stellte mit dem aus, z.B. der 1921er Ausstellung Deutsche Einbandkunst, und wechselte dann zu den Meister der Einbandkunst.


Aus dem Jüdischenadressbuch, 1929-30 (111)
Lühr war die Tochter eines evangelischen Pastors

Nebenbei, war W. Collin zu dem Zeitpunkt (1930) unter der Leitung von Gertrud Collin in der Kurfürstenstr 99a angesiedelt.

Aus dem Adressbuch für Berlin, 1930

1938 feierte sie 25. Geschäftsjubiläum, und 1952 50 Jahre als Buchbindermeisterin.

Zu Weiße sagte sie 1949, daß sie und die Werkstatt "Gewissermaßen von Bomben verschont blieben" und, daß sie mit Ihrer "treuen Mitarbeiterin  Fraulein [Helene] von Stolzenberg an praktischen Aufträgen arbeitete, lehrte und schuftete. Ehrenvolle Arbeiten wurden erledigt. Und der Kampf um das liebe Brot ist uns Frauen so gut bekannt wie den Männern, unseren verehrten Herrn Meistern!" Laut Weiße, "da beißt die Maus keinen Faden ab." Von Stolzenberg bildete sie selbst zur Meisterin aus.

In dem Artikel sprach sie auch über das "Sterben von 'Schwestern' an Unterernährung und Kälte. Licht auf Stunden, wo man schlafen müßte. Arbeiten sind verlagert, Kunsteinbände auf Nimmerwiedersehen verloren... Aufträge kommen langsame; weiter heraus geschoben als die Lieferung ist die Bezahlung. Ohne Glanz ein Ende? Nein wir Raffen uns Auf! Und hier sage ich: "Es ist nicht gut, dass der 'alte' Mensch allein sei."

Sorgen um die Nachfolge machte sich Lühr oft, auch um die eigene Einsamkeit und daß alleine Alt werden wie spätere Artikel im AAB schilderten. Weiße endete seinen Artikel mit:
Ich lese im Bericht von 1912 dieses 'Lette-Verein' – Institutes, das ja lange schon seine Tore geschlossen hat, von einer Diskussion über die handwerksmäßige Ausbildung der Frau: 'Wenn mal die Buchbinderei Werkstätten weibliche Lehrlinge wie männliche aufnehmen, hat die Werkstätte des Lette-Verein ihre Mission erfüllt und kann ihre Tore Schliessen!' – Mithin haben wir jenes Institute als den Anreger anzusehen, auch Frauen in unseren Handwerksberuf aufzunehmen. – Pionier? – Maria Lühr!  –
In "Die Frau im Buchbinderhandwerk" beschrieb Lühr 1937 ihren Werdegang, die Lage der Buchbinderei, daß sie versuchte 1918 einen Bund deutscher weiblicher Buchbindermeister zu gründen, aber die Zahlen waren zu gering und die Wirtschaftslage zu heikel, so daß der Bund 1923 aufgelöst wurde. Sie beschrieb auch die Lage der Frauen im Buchbindeberuf mit Statistiken. Zu ihrer Tätigkeit beim Lette-Verein und als selbständige, ausbildende Meisterin schrieb sie, daß:
Andere mehr oder weniger begabte Lehrlinge folgten, die alle ihre Gesellenprüfung mit gutem Erfolg ablegten. Einige machten sich nach späterer Meisterprüfung selbständig, andere heirateten Buchbindermeister und stehen ihren Männern im Erwerbsleben fleißig bei, noch andere gaben bei ihrer Heirat den Beruf auf. — Da die männlichen Buchbindermeister sahen, daß die Frauen es mit ihrem Beruf ernst nahmen, scheuten sie sich auch nicht mehr, weibliche Lehrlinge einzustellen, und so ist es für die Frauen heute viel einfacher, gründliche Kenntnisse in der Buchbinderei zu erwerben wie zu der Zeit, als ich damit begann.
Die Buchbinderwerkstatt des Lette-Vereins schloß am September 1937. Der Lette-Verein ist seit 1944 eine "Stiftung des öffentlichen Rechts umgewandelt. Seit 1982 sind die Schulen des Lette-Vereins koedukativ." 

Maria Lühr starb 1969.

Aus Weiße, Franz - Maria Lühr in Berlin 65 Jahre Meisterin,
Allgemeiner Anzeiger für Buchbindereien, Vol 62, Nr 3, 1949.


So wie Paul Adams Praktischen Arbeiten des Buchbinders als Practical Bookbinding ins Englische übersetzt wurde, wurde auch Douglas Cockerells Bookbinding and the Care of Books 1902 von Felix Hübel ins Deutsche übersetzt als Der Bucheinband und die Pflege des Buches. Dies wurde 1925 aufgearbeitet von Lühr die auch das Vorwort schrieb:
Es hat mir viel Freude gemacht, dieses Buch durchzuarbeiten. Ich benutzte dazu die 1. Übersetzung und den englischen Text, der 1920 in 4. Auflage in erweitertem Umfange erschienen ist. Es wurde mir leicht, mich in die Arbeitsweise des Herrn D. Cockerell hineinzufinden, da ich gleich ihm Schüler Cobden Sandersons bin. Ich konnte dadurch manchen Arbeitsvorgang berichtigen und ergänzen, ohne von dem Urtext abzuweichen.
Manche Arbeitsweise ist für unsern praktischen Werkstattsgebrauch etwas zu umständlich, doch kann diese ja jeder Meister nach den Verhältnissen abändern. Die ganze Herstellung und Behandlung des Buches ist auf guter alter Handwerksart aufgebaut und es wäre zu wünschen, daß die Handarbeit des Handwerkers immer mehr in Ehren käme.

Der Bucheinband und die Pflege des Buches.

Vorwort von Lühr zu Der Bucheinband und die Pflege des Buches.


Einen Einband von Lühr an dieser Ausgabe gibt es in der Sammlung Max Hettler zu sehen.

Lühr schreib auch andere Aufsätze für den Buchbinderlehrling über "Die Herstellung selbstgefertigter Überzugpapiere" und "Die Herstellung des Papiers in alter und neuer Zeit" (1929).

Beilage zu "Die Herstellung selbstgefertigter Überzugpapiere (Buntpapiere),
A. Wasser- oder Oelpapiere"


Zum Leben und Schaffen Maria Lührs u. Frauen als Buchbinder

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