Familienangehörige betrachten die Steine vor der Verlegung Photo Gerhard Schumm, 4.1.2014 |
Photo Gerhard Schumm, 1.4.2014 |
Am 1.4.2014 wurden zwei Stolpersteine für Ernst Collin und seiner Frau Else (geb. Cronheim) vor dem Eingang zur Cicerostr 61 in Berlin gelegt. "Stolpersteine sind Gedenksteine, die für Opfer des Nazi-Terrors vor deren einstigen Wohnhäusern verlegt werden. Es sind Betonwürfel, die in das Pflaster des Gehsteigs eingemauert werden, mit einer eingelassenen 10x10 cm großen Messingplatte. Darauf sind Name, das Geburtsjahr und Stichwörter zum weiteren Schicksal des Opfers eingraviert." In Berlin arbeitet die Koordinierungsstelle Stolpersteine zusammen mit Stolpersteine-Initiativen in den Stadtteilen, in diesem Fall Charlottenburg-Wilmersdorf. Hier die Seiten zu Ernst und Else bei der Koordinierungsstelle und in Wilmersdorf.
Ernst als Redakteur, Wohnung im Erdgeschoß Aus dem Adreßbuch für Berlin, 1929 |
Ernst Collin, geboren am 31.5.1886, war der Enkel und Sohn von Hofbuchbindern der Preussischen Könige und Deutschen Kaiser. Sein Großvater W(ilhelm) Collin (12.7.1820 – 1893) war der Sohn von dem [Beuthener/Bytom] Arzt Isaac Collin und Blümche (geb. Kirchheim) die 1832 nach Berlin gezogen waren. Wilhelm machte 1835-1840 seine Lehre bei dem preussischen Hofbuchbindermeister Mossner, ging auf Wanderschaft und etablierte 1845 seine eigene Werkstatt “An der Schleuse 2.” Ihm wurde der Preussiche Kronenorden verliehen.
Aus einem Einband ca. 1886-1887 in der Sammlung des Special Collections Research Center, Syracuse University Library. |
Die Eltern von Ernst Collin waren Max Georg Collin (22.10.1851-24.12.1918) und Regina (geb. Joseph). Georg folgte in seines Vaters Fußstapfen, legte seine Lehre bei Meister Hunziger ab, auf diese folgten Wanderjahre nach Wien, Paris, London (u.a. bei Joseph Zaehnsdorf, einem der renommiertesten Buchbinder seiner Zeit). Danach kehrte er nach Berlin zurück, um in der väterlichen Buchbinderei zu arbeiten. In den Jahren 1873-1875 führte er Prinz Heinrich (Bruder des späteren Kaiser WIlhelm II) in die Technik der Buchbinderei ein. In einem Aufsatz über diese Zeit erwähnt Ernst Collin im Buchbinderlehrling [Bedeutende Männer des Buchbinderhandwerks, Der Buchbinderlehrling, 6. Jg., Nr 9, 1932] gegenüber seinem Vater Klagen seitens des Hofes über den auffallenden, unangenehmen Geruchs des Kleisters. Es wird gefragt, ob man etwas dagegen tun sollte. Georg Collins Antwort fiel kurz aus, man könne schließlich dem Kleister kein Eau de Cologne beimischen und so blieb es dabei. Von 1878-1891 studierte Georg Collin an der Berliner Kunstakademie Kunst, besonders Malerei, was seine Einbandkunst stark beinflußte. Nach dem Tode Wilhelms 1893 übernahm Georg die Firma W Collin. Georg Collin wurde einer der angesehensten Buchbinder Deutschlands und trug maßgebend dazu bei, dass die deutsche Einbandkunst an Bedeutung gewann, auch unter Mitwirkung seiner "Schüler" wie z. B. Paul Kersten. Georg ist es mit zu verdanken, dass von nun an Frauen den Buchbinderberuf erlernen und sich bis zum "Meister" hocharbeiten konnten. Unter ihnen trat seine Schülerin Maria Lühr durch besondere Leistungen hervor, sie brachte es als Erste zur Meisterin, leitete lange die Schule für Buchbinderinnen im Letteverein, und schrieb selbst eifrig, u.a. im Buchbinderlehrling. Die Beziehungen zum Hof, die die Einbeziehung von Frauen in diesem Beruf unterstützte, ergaben auch, dass Collin sich dem Widerstand seiner Gesellen und der Innung gegen dieses Novum im Beruf durchsetzen konnte. Wie sein Vater Wilhelm, war auch Georg Collin Träger des Krohnenorden.
Georg und Regina Collin hatten drei Kinder, Gertrud, Elsa, und Ernst. Nach dem Tode Georg Collins am 24.12.1918 wurde die Firma W. Collin von dessen Frau weitergeführt, bis Gertrud die Firma übernahm. Nach 1930 war die Firma als “Spezialbetrieb für Druckarbeiten” unter Paetsch & Collin bekannt, bis sie 1939 “liquidiert” wurde.
Ernst Collin folgte zunächst der Familientradition und wurde Buchbinder. Wo er seine Lehre absolviert hat, ist nicht bekannt, jedoch erfahren wir von ihm selbst, daβ er 1904 mit Gustav Slaby und Paul Kersten als Mitglied der ersten Klasse ein Semester lang an der Berliner Buchbinderfachschule für Kunstbuchbinderei eingeschrieben war. Ernst schlug letzten Endes eine völlig andere Laufbahn ein, wurde Schriftsteller und Redakteur und schrieb überwiegend über die Buchbinderei und graphischen Künste, die er so gut kannte, ebenso befasste er sich mit der Kunst allgemein, Wirtschaftsthemen und Politik. Seine ersten, bis jetzt gefunden Aufsätze erschinen 1907-08 in Band 3 von Die Werkkunst: Zeitschrift des Vereins für deutsches Kunstgewerbe und identifizieren ihn als "Ernst Collin, Kunstbuchbinder." Über sein Corvinus - Antiquariat Ernst Collin in der Mommsenstraβe 27 (Charlottenburg) verkaufte er “Erstausgaben, Seltene Bilder, Luxus.- und Pressedrucke, Bibeldrucke, schön gebundene Bücher u.s.w. Er hatte auβerdem eine Stellung in der Schriftleitung der Berliner Volkszeitung inne.
Die Zahl seiner bislang entdeckten Schriften wächst weiter an –angefangen mit 44 Titeln in Mejers Bibliographie der Buchbinderei - Literatur (1925) und dem 1937 erschienen Band Jahrbuch der Einbandkunst , herausgegeben von den Meistern der Einbandkunst. An einer umfassender Bibliographie seiner Schriften wird gearbeitet - Bis dato sind über 200 Titel (Aufsätze und Monographien) mit bedeutenden Lücken in der Chronologie erfaßt wurden, die weitere in Aussicht stellen könnten.
Sein erstes Buch Buchbinderei für den Hausbedarf ([1915]) war eine Einführung in die Buchbinderei an Laien gerichtet. Dieser folgten Der Pressbengel (1922) und die Festschrift Paul Kersten (1925), anlässlichseines 60. Geburtstages und zu Ehren dieses sehr einflussreichen deutschen Buchbinders. Ernst Collin schrieb auch Aufsätze für Festschriften einiger der bedeutendsten deutschen Buchbindereien, zum Beispiel Vom guten Geschmack und von der Kunstbuchbinderei für die Spamersche Buchbinderei (1918) und Fünfzig Jahre deutscher Verlegereinband für Hübel & Denck (1925), beide in Leipzig. Auch war Collin der Herausgeber von Die Heftlade (1922-24), das Organ des Jakob-Krauße-Bunds und dessen Mitglieder, die zu den gröβten deutschen Buchbindern der Zeit gehörten. Er war Herausgeber des und schrieb Aufsätze fuer den Katalog Deutsche Einbandkunst (1921) vom Jakob-Krauße-Bund. Degeners Wer Ist's (10. Ausgabe, Berlin, 1935) nennt die Pseudonyme Collenoni und Nicoll für ihn, Schriften mit diesen Namen sind jedoch bislang nicht gefunden wurden.
Collins Aufsätze erschienen zwischen 1907 und 1936 in mindestens 36 Zeitschriften (und Monographien). Unter ihnen: Allgemeiner Anzeiger für Buchbindereien; Archiv für Buchbinderei; Archiv für Buchgewerbe; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel; "Buch und Bild : Berliner Herbstschau im Staatlichen Kunstgewerbe-Museum 1921 "; Corvinus Antiquariat Ernst Collin; Das Echo: das Blatt der deutschen im Auslande; Das Plakat: Zeitschrift des Vereins der Plakatfreunde e.V.; Der Buchbinderlehrling; Der graphische Betrieb; Der Kinematograph; Der Kunstwanderer; Der Papier-Markt; Der Qualitaetsmarkt; Der Sammler; Der Sturm; Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur; Deutsche Kunst und Dekoration; Deutsche Verleger Zeitung; Deutsch-nordisches Jahrbuch für Kulturaustausch und Volkskunde; Die Heftlade: Zeitschrift für die Förderer des Jakob-Krauße-Bundes; Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst; Die Kunstauktion; Die Werkkunst : Zeitschrift des Vereins für deutsches Kunstgewerbe in Berlin; Exlibris, Buchkunst und angewandte Graphik (N.F. 15.); Euphorion Verlag; Gebrauchsgraphik; Graphische Jugend; Gutenberg Festschrift; Gutenberg Jahrbuch; Hübel und Denck; Journal für Buchbinderei- und Kartonnagenbetriebe sowie für den Papier- und Schreibwarenhandel; Klimschs Jahrbuch; Moderne Buchbinderei; Monatsblätter für Bucheinbände und Handbindekunst; Offset-, Buch- und Werbekunst; Sammlerkabinet; Scherls Magazin; Schweizerische Fachschrift für Buchbindereien, Geschäftsbücher-, Kartonnagen-Fabriken und Papeterien; Spamersche Buchbinderei; Taegliche Rundschau; Textile Kunst und Industrie; Verhandlungen Vereins zur Befoerderung des Gewerbefleisses; Volksverbandes der Bücherfreunde; Westermanns Monateshefte; Wilhelm Leo's Buchbinder-Kalender; Zeitschrift des Deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum; Zeitschrift für Bücherfreunde; Zeitschrift für Bücherfreunde. N.F.; Zeitschrift für Neue und Alte Kunst, Graphik, Kunstgewerbe; Zur guten Stunde..
Sein bekanntestes Werk, der ikonische Pressbengel (1922), ein “Gesprächsbüchlein zwischen dem ästhetischen Bücherfreund und seinem in allen Sätteln gerechten Buchbinder” widmete er seinem Vater Georg. In dem Werk stellt Collin die verschiedenen Techniken vor, und beschreibt die Lage des Handwerks in Deutschland in jener Zeit. Der Mandragora Verlag brachte 1984 eine neue Ausgabe heraus, und 1996 wurde der Pressbengel als Dal Rilegatore d’Arte vom Atelier Josef Weiss heraus gebracht. 2008 erfolgte die Übersetzung ins Englische als The Bone Folder von Peter D. Verheyen. Eine zweite englische Ausgabe mit biographisch korrigierter Einleitung wird vorraussichtlich 2015 bei der Boss Dog Press vom amerikanischen Buchbinder und Drucker Don Rash als Pressedruck erscheinen.
In der Einleitung zum Nachdruck von 1984 schrieb Moessner “Ernst Collin ist seit 1933 verschollen.” Trotz der immer enger werdenden Schlinge von Schikanen und Drohungen von Seiten der Nazis, unter anderem in Anlehnung an das Schriftleitergesetz von 1933, gelang es Collin zumindest bis 1936 seine Schriften im Allgemeiner Anzeiger für Buchbindereien herauszugeben, ein Beispiel dafür der Aufsatz über den Buchbinder “Otto Pfaffs 25 jähriges Berufsjubiläum.”
Ernst Collin war auch politisch aktiv und wurde als beitragendes Mitglied der Schriftleitung von Die Deutsche Nation: Eine Zeitschrift für Politik, eine Zeitschrift, die auf die mitte-links soziale Deutsche Demokratische Partei (DDP) ausgerichtet war. U.a. gehörte der große Bibliophile Harry Graf Kessler zur Schriftleitung. Die DDP wurde 1933 aufgelöst. Andere Mitglieder waren der damalige Auβenminister Walter Rathenau und Theodor Heuss, der erste Bundespräsident.
In der Ausgabe des Allgemeiner Anzeiger für Buchbindereien von 1947, dem ersten Jahrgang seit Kriegsende, gab es unter den Randbemerkungen eine Eintragung über die Collins (W. Collin, Georg und Ernst), in der die herausragende Bedeutung dieser Menschen und deren Schaffen hervorgehoben wurde. Auch wurde dort u.u. erwähnt, daβ Ernst jahrzehntelang für die Zeitschrift tätig war und er, als Jude, noch im Jahre 1939 versucht hatte, zu emigrieren. Von einem “Abschiedsbrief” war die Rede, danach gab es keine Nachricht mehr von ihm.
Aus dem Allgemeiner Anzeiger für Buchbindereien, Bd 60, Nr. 5, 1947 (S. 68-69) |
Während seines beruflichen Lebens wohnte Ernst Collin in der Sachsenwaldstraβe 25 in Stegliz und zog 1929 in die Cicerostraβe 61 in Wilmersdorf um.
Leider sind keine Informationen zu seiner Frau Else Collin, geb Cronheim am 18.3.1890, bekannt. Das Ehepaar hatte keine Kinder.
Das Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Natzionalsozialismus (Freie Universität Berlin, Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung, Edition Hentrich, Berlin 1995) dokumentiert die Deportation der Eheleute Ernst und Else Collin am 9.12.1942 nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden.
Photo Gerhard Schumm, 1.4.2014 |
Stolpersteine für Ernst und Else Collin, Wiki Photos von "OTFW" |
[Zugefügt am 18.11.23] Diese Abbildung eines Gemaelde von Walter Kampmann wurde neulich im Katalog der Grossen Berliner Kunstausstellung of 1929 gefunden. Es zeigt Ernst Collin in einem Stuhl mit Buch, Papier, und einem Schreibinstrument. Sein Kopf ruht auf seiner Hand, die Augen erscheinen verschlossen, vielleicht in seinen Gedanken verloren. Eine Frau, vermutlich Else Collin (geb. Cronheim), hat ihn fast umarmt. Hier mehr. |
Die Stolpersteine wurden gestiftet von:
Die Stolpersteine wurden von seiner Großnichte, Dr. Rita Jenny Kuhn; Dr. Kuhns Tochter, Ruth C. Wiseman; und von Peter D. Verheyen gestiftet. Dr. Kuhn beschreibt in Broken Glass, Broken Lives (Barany Publishing Co., 2012) wie sie und ihre Familie den Krieg in Berlin überlebt haben. Verheyen übersetzte den Pressbengel ins Englische.
Die Zusammenarbeit mit Frau Wiseman die zu dieser Ehrung von Ernst und Else führte hat meiner Interesse an Ernst Collin und seinen Schriften, sowie die Geschichte der Collins eine viel tiefere Bedeutung gegeben und mich sehr gerührt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Siehe auch The Story of Two Ernsts (auf Englisch) wo die verflochtenen Lebensgeschichten von Ernst Collin und Ernst Heinrich Collin-Schoenfeld disambiguiert werden.
Quellen:
Neben den Aufsätzen in vielen Zeitschriften wurden unter anderem folgende Quellen benutzt:
Die Stolpersteine wurden von seiner Großnichte, Dr. Rita Jenny Kuhn; Dr. Kuhns Tochter, Ruth C. Wiseman; und von Peter D. Verheyen gestiftet. Dr. Kuhn beschreibt in Broken Glass, Broken Lives (Barany Publishing Co., 2012) wie sie und ihre Familie den Krieg in Berlin überlebt haben. Verheyen übersetzte den Pressbengel ins Englische.
Die Zusammenarbeit mit Frau Wiseman die zu dieser Ehrung von Ernst und Else führte hat meiner Interesse an Ernst Collin und seinen Schriften, sowie die Geschichte der Collins eine viel tiefere Bedeutung gegeben und mich sehr gerührt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Folgende Aufnahmen wurden am 3. April gemacht. Die Blumen liegen noch da.
Aufnahme Regina Klein |
Aufnahme Regina Klein |
Siehe auch The Story of Two Ernsts (auf Englisch) wo die verflochtenen Lebensgeschichten von Ernst Collin und Ernst Heinrich Collin-Schoenfeld disambiguiert werden.
Quellen:
Neben den Aufsätzen in vielen Zeitschriften wurden unter anderem folgende Quellen benutzt:
- Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Berlin, Charlottenburg und Umgebungen; Berliner Adreßbuch. Numerous years.
- Archiv der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
- Dohrmann, Inken. 150 Jahre Verein Berliner Buchbindermeister. Berlin: Verein Berliner Buchbindermeister 1849, 2001. See also online here. One of the best sources on bookbinding in Berlin.
- Freie Universität Berlin, Zentralinstitut für Sozialwissenschaftliche Forschung. Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Berlin : Ed. Hentrich, 1995.
- Humboldt-Universität zu Berlin. Jüdische Gewerbebetriebe in Berlin 1930-1945. Datenbank.
- International Tracing Service
Jacobson, Jacob. Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin, 1809-1851. Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1962 - Standesamt Berlin
- Yad Vashem. Central Database of Shoah Victims' Names. Ernst | Else